Das Bundesarbeitsgericht (BAG, 20.12.2022 – 9 AZR 266/20) hat die Regelungen zum gesetzlichen Mindesturlaub weiterentwickelt. Urlaubsansprüche verfallen demnach nicht mehr nach Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist, wenn Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer nicht regelmäßig über ihre konkreten Urlaubsansprüche und die Verfallfristen informieren. Arbeitnehmer könnten so ihren Urlaub zeitlich unbefristet ansammeln mit zum Teil nicht unerheblichen finanziellen Auswirkungen bei Rückstellungen.

Sachverhalt

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zahlte der beklagte Arbeitgeber der Klägerin eine Urlaubsabgeltung für 14 Urlaubstage. Der weitergehenden Forderung der Klägerin, Urlaub im Umfang von 101 Arbeitstagen aus den Vorjahren abzugelten, kam der Beklagte nicht nach. Das Arbeitsgericht wies eine hierauf gerichtete Klage ab. Das Landesarbeitsgericht sprach der Klägerin hingegen eine Urlaubsabgeltung für weitere 76 Arbeitstage zu. Dabei wies das Landesarbeitsgericht den Einwand des Beklagten, die geltend gemachten Urlaubsansprüche seien verjährt, zurück.

Entscheidung

Die Revision des Arbeitgebers hatte keinen Erfolg. Nach Ansicht des BAG finden die Vorschriften über die Verjährung auf den gesetzlichen Mindesturlaub zwar grundsätzlich Anwendung. Aufgrund richtlinienkonformer Auslegung und entsprechender Umsetzung einer Entscheidung des EuGH (vgl. EuGH, 22.09.2022 – C-120/21) beginne die regelmäßige Verjährungsfrist allerdings erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen habe.

Der Zweck der Verjährungsvorschriften, Rechtssicherheit zu gewähren, trete im vorliegenden Fall hinter das Ziel der Europäischen Grundrechtecharta, die Gesundheit des Arbeitnehmers durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme zu schützen, zurück. Die Gewährleistung der Rechtssicherheit dürfe nicht als Vorwand dienen, dass sich Arbeitgeber auf ihr eigenes Versäumnis berufen dürften, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich auszuüben. Der Arbeitgeber könne Rechtssicherheit selbst herbeiführen, indem er seine Hinweisobliegenheiten gegenüber dem Arbeitnehmer nachhole.

Da der Arbeitgeber im konkreten Fall die Klägerin nicht über ihre verbleibenden Urlaubsansprüche sowie den drohenden Verfall belehrte und sie dadurch nicht in die Lage versetzte, ihren Urlaub in Anspruch zu nehmen, seien diese weder am Ende des Kalenderjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfallen. Außerdem sei der nicht gewährte Urlaub nicht bereits während des laufenden Arbeitsverhältnisses nach Ablauf von drei Jahren verjährt.

Urlaubsverfall bei gesundheitlichen Gründen

In Bezug auf den Verfall von Urlaub aus gesundheitlichen Gründen hat das BAG in einem weiteren Fall seine Rechtsprechung weiterentwickelt (BAG, 20.12.2022 – 9 AZR 245/19). Bisher gingen die gesetzlichen Urlaubsansprüche bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit ohne weiteres mit Ablauf des 31. März des zweiten Folgejahres unter („15-Monatsfrist“).

Weiterhin unverändert gilt, dass der gesetzliche Mindesturlaub mit Ablauf des 15-Monats-Zeitraums nach Ende des jeweiligen Urlaubsjahres verfällt, wenn ein Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten, auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres, aus gesundheitlichen Gründen gehindert ist, den Urlaub anzutreten. Dies ist selbst dann der Fall, wenn der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachgekommen ist, da er in diesem Fall zur Inanspruchnahme des Urlaubs nicht hätte beitragen können.

Anders ist dies hingegen zu beurteilen, wenn der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr tatsächlich gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder krankheitsbedingt arbeitsunfähig geworden ist. In diesem Falle ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitnehmer rechtzeitig vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in die Lage zu versetzen, seinen Urlaub auch tatsächlich zu nehmen. Ansonsten verfällt der Urlaubsanspruch nicht.

Fazit

Arbeitgeber sollten prüfen, ob sie ihren Hinweisobliegenheiten formal und rechtzeitig nachkommen. Hierbei empfiehlt es sich, die Arbeitnehmer bereits zu Beginn des Kalenderjahres über deren aktuellen Urlaubsanspruch zu informieren und spätestens zum Ende des dritten Quartals den Hinweis betreffend den Umfang des Urlaubsanspruchs sowie die Information über den Verfall des Urlaubs zu wiederholen. Dabei ist auch zu prüfen, ob die Aufforderung, den Urlaub nach Möglichkeit im laufenden Geschäftsjahr zu nehmen, sowie der Hinweis, dass nicht genommener Urlaub spätestens nach drei Jahren verjährt, auch gegenüber langzeiterkrankten Arbeitnehmern im Unternehmen erfolgen muss.