Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat die Rechtsprechung zur Entgeltgleichheit weiterentwickelt und eine Vermutung für eine Entgeltdiskriminierung auch dann bejaht, wenn sich diese aus einem Vergleich mit nur einem einzigen konkreten Kollegen ergibt. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Diskriminierung sei als Indiz nicht erforderlich. Die Entscheidung wird die Anforderungen an Arbeitgeber in gerichtlichen Verfahren wegen vermeintlicher Entgeltdiskriminierungen deutlich erhöhen.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über Vergütungs- und Schadensersatzansprüche aus Gründen der Entgeltgleichheit. Die Klägerin, eine Frau aus der mittleren Führungsebene der Beklagten, erhielt ein Entgelt, das sowohl unter dem Medianentgelt der weiblichen als auch unter dem Medianentgelt der männlichen Vergleichsgruppe auf derselben Führungsebene lag.

Mit ihrer Klage verlangt sie die Zahlung der Lohndifferenz in Höhe von 420.000 € für die Jahre 2018-2022 zwischen ihrer individuellen Vergütung und dem Entgelt eines von ihr konkret benannten männlichen Vergleichskollegen (Paarvergleich), hilfsweise zwischen ihrem Gehalt- und dem Medianwert der männlichen Vergleichsgruppe. Neben Grundgehalt und Boni waren virtuelle Aktienoptionen Bestandteil der Vergütung. In Bezug auf diese virtuellen Aktienoptionen verlangte sie die Angleichung  an das Niveau des weltweit bestbezahlten Managers der Beklagten. Zur Begründung ihrer Ansprüche nach dem Entgelttransparenzgesetz und dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz hat sie sich unter anderem auf Angaben der Beklagten in einem sog. Dashboard gestützt, welches im Intranet der Erteilung von Auskünften im Sinne des Entgelttransparenzgesetzes dient.

Die Beklagte hatte geltend gemacht, dass der zum Vergleich herangezogene Kollege nicht die gleiche oder gleichwertige Arbeit wie die Arbeitnehmerin verrichte. Außerdem beruhe die unterschiedliche Entgelthöhe darauf, dass die Frau schlechter arbeite. Aus diesem Grund werde sie auch schlechter als der Median ihrer weiblichen Kolleginnen bezahlt.

Das ArbG hat der Klage teilweise stattgegeben und der Klägerin einen „vollen“ Differenzanspruch zwischen ihrem individuellen Lohn und dem Männer-Mediangehalt zugesprochen. Die hiergegen eingelegte Berufung wurde weitestgehend abgewiesen. Nach Ansicht des LAG könne sich die Arbeitnehmerin für die Vermutung einer Entgeltbenachteiligung nicht auf eine einzige Vergleichsperson des anderen Geschlechts berufen. Zudem sei eine geschlechtsbedingte Benachteiligung nicht überwiegend wahrscheinlich angesichts der Größe der männlichen Vergleichsgruppe und der Medianentgelte beider vergleichbarer Geschlechtergruppen, womit es an einem Indiz gemäß § 22 AGG fehle. Ein Anspruch bestehe lediglich in Bezug auf einzelne Vergütungsbestandteile, wobei dieser der Höhe nach auf die Differenz zwischen dem Medianentgelt der weiblichen und dem der männlichen Vergleichsgruppe begrenzt sei. Hiergegen legte die Klägerin Revision zum Bundesarbeitsgericht ein.

Entscheidung

Die Revision war erfolgreich. Das BAG hob das Urteil teilweise auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück. Nach Ansicht des Gerichts kann über die auf einen Paarvergleich gestützten Hauptanträge nicht abschließend entschieden werden. Denn für eine Klage auf Entgeltgleichheit bedürfe es keiner überwiegenden Wahrscheinlichkeit für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung. Ein solches Erfordernis wäre mit den Vorgaben des primären Unionsrechts, d.h. des Grundsatz des gleichen Entgelts für gleiche oder gleichwertige Tätigkeiten, unvereinbar.

Vielmehr würde für die Vermutung einer Entgeltbenachteiligung bereits genügen, wenn die klagende Arbeitnehmerin darlegt und im Bestreitensfall beweist, dass ihr Arbeitgeber einem anderen Kollegen, der gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichtet, ein höheres Entgelt zahlt. Vorliegend habe die Klägerin unter Verweis auf die Angaben im Dashboard in Bezug auf eine Vergleichsperson hinreichende Tatsachen vorgetragen, die eine geschlechtsbedingte Entgeltbenachteiligung vermuten lassen. Im Übrigen komme es auf die Größe der männlichen Vergleichsgruppe und die Höhe der Medianentgelte beider Geschlechtsgruppen hingegen nicht an.

Das LAG wird im fortgesetzten Berufungsverfahren zu prüfen haben, ob die beklagte Arbeitgeberin diese Vermutung – ungeachtet der Intransparenz ihres Entgeltsystems – widerlegt hat, indem sie beweist, dass sachliche Gründe für die Ungleichbehandlung vorliegen. Beiden Parteien ist Gelegenheit zur Ergänzung ihres Sachvortrags zu geben.

Die Entscheidung liegt derzeit nur als Pressemitteilung vor.

(BAG, 23.10.2025 – 8 AZR 300/24)

Praxishinweise

  • Kann der Arbeitgeber den Anschein einer Entgeltdiskriminierung nicht durch sachliche Gründe widerlegen, drohen Nachzahlungen in Extremfällen bis zum Gehaltsniveau eines Spitzenverdieners. Vorliegend konnte die Klägerin einen Kollegen, der gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichtet und besser entlohnt wird, nur aufgrund des Dashboards des Arbeitgebers konkret benennen. Die neue EU-Entgelttransparenzrichtlinie sieht jedenfalls keinen eigenständigen Auskunftsanspruch vor, um Informationen über konkrete Gehälter von Vergleichskollegen zu erhalten.
  • Jedenfalls sollten Arbeitgeber plausibel und dokumentiert darlegen können, welche sachlichen Gründe zu Entgeltunterschieden geführt haben. Neben dem Medianwerten und individuellen Gründen, wie beispielsweise ein angespanntes Marktumfeld, berufliche Qualifikationen und Verantwortungsbereiche, ist zukünftig auch der direkte Vergleich zwischen zwei Arbeitnehmern zu berücksichtigen.
  • Bestehende Vergütungsstrukturen sollten mit Blick auf die Anforderungen der EU-Entgelttransparenzrichtlinie (Link zum Beitrag) überprüft werden, insbesondere hinsichtlich Gleichbehandlung, Bewertungskriterien, Nachvollziehbarkeit und Dokumentation.