Mit einer Entscheidung vom 6. September 2018 stärkte der EuGH (C-527/16) die Bedeutung der sozialversicherungsrechtlichen A1-Bescheinigung. Zur Vermeidung doppelter Sozialversicherungsbeiträge in zwei verschiedenen EU-Staaten bescheinigt dieses Entsendeformular, welches Sozialsystem für einen Versicherten zuständig ist. Die A1-Bescheinigung ist selbst bei sehr kurzen Dienstreisen ins Ausland erforderlich und zwar sowohl für Arbeitnehmer als auch für Selbstständige.
Der EuGH entschied nun, dass eine vom zuständigen Träger eines Mitgliedstaats ausgestellte A1-Bescheinigung sowohl für die Träger der sozialen Sicherheit als auch für die Gerichte des anderen Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird, verbindlich ist, solange sie von dem ausstellenden Mitgliedstaat weder widerrufen noch für ungültig erklärt worden ist. Dies gilt auch, wenn im Zeitpunkt der Ausstellung einer rückwirkenden A1-Bescheinigung bereits eine Entscheidung des zuständigen Sozialversicherungsträgers am Tätigkeitsort vorliegt, dass der betreffende Arbeitnehmer der Pflichtversicherung dieses Mitgliedstaats unterliege. Selbst wenn die Bescheinigung zu Unrecht ausgestellt wurde, behält sie bis zu einer Rücknahme ihre Wirksamkeit – sofern es sich nicht um einen Betrug oder Rechtsmissbrauch handelt.
In der Praxis wird die Bedeutung der A1-Bescheinigung häufig noch unterschätzt. Bereits seit Inkrafttreten der EG-Verordnung 883/2004 dürfen Unternehmen selbst bei sehr kurzen Auslandsaufenthalten ihrer Mitarbeiter die Weitergeltung der deutschen Rechtsvorschriften nicht mehr selbst bescheinigen. Stattdessen müssen sie bei dienstlichen Aufenthalten ihrer Mitarbeiter jeweils im Voraus bei der gesetzlichen Krankenkasse des Mitarbeiters bzw. des Rentenversicherungsträgers die Erstellung einer A1-Bescheinigung beantragen.
Schwierigkeiten wirft dies insbesondere bei sehr kurzfristig geplanten Auslandseinsätzen auf, z.B. für Besprechungen oder spontane Montageeinsätze. In diesen Fällen sollte, wenn die Bescheinigung nicht rechtzeitig erteilt wird, ersatzweise der eingereichte Antrag auf Erstellung der A1-Bescheinigung mitgeführt werden. Damit ist eine Berufung auf die Durchführungsverordnung der EU (Art. 15 Abs. 1 VO EG Nr. 987/2009) möglich, nach der „die Unterrichtung an den zuständigen Träger im Mitgliedstaat im Voraus, wann immer dies möglich ist“ zu erfolgen hat.
Die Kontrollen des Vorliegens der erforderlichen A1-Bescheinigung werden nach einer Ankündigung der Krankenkassen in Zukunft erheblich zunehmen. Jede Besprechung, jeder kurze Workshop, sogar das Tanken im Ausland in der Dienstzeit kann spätestens ab 2019 kontrolliert werden. Liegt die A1-Bescheinigung nicht vor, können Verwarnungsstrafen fällig werden und der betroffene Mitarbeiter am Betreten des ausländischen Dienstgebäudes gehindert werden.
Um der zu erwartenden Antragsflut Herr zu werden, setzen zumindest in Deutschland die Krankenkassen auf Automatisierung. Bereits seit 2018 können A1 Bescheinigungen aus einigen Lohnabrechnungsprogrammen beantragt werden. Ab 1. Januar 2019 löst das elektronische Verfahren standardmäßig die früheren Papieranträge ab, die jedoch bis zum 30. Juni 2019 alternativ noch weiter genutzt werden können.