Geht ein Arbeitnehmer nach einer rechtswidrigen Kündigung einer anderen Beschäftigung nach, entstehen für den Zeitraum der zeitlichen Überschneidung in beiden Arbeitsverhältnissen Urlaubsansprüche, wenn sich die Kündigung im Kündigungsschutzprozess als unwirksam erweist.  Dies gilt auch, wenn der Arbeitnehmer die Pflichten aus beiden Arbeitsverhältnissen nicht kumulativ hätte erfüllen können. Um die Verdoppelung von Urlaubsansprüchen zu vermeiden, wird der vom neuen Arbeitgeber gewährte Urlaub auf die Urlaubsansprüche gegen den ursprünglichen Arbeitgeber kalenderjährlich angerechnet.

Sachverhalt

Die Klägerin war seit dem 01.12.2014 als Verkäuferin mit einer Fünf-Tage-Woche und einer Urlaubsdauer von 30 Werktagen bei dem Beklagten beschäftigt. Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis am 23.12.2019 fristlos. Der hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage gab das ArbG durch Urteil vom 09.09.2020 statt. Das Arbeitsverhältnis endete allerdings aufgrund einer außerordentlichen Kündigung des Beklagten vom 07.05.2021 vor Ablauf des Monats Mai 2021. Während des Kündigungsrechtsstreits war die Klägerin zum 01.02.2020 ein weiteres Arbeitsverhältnis eingegangen. In diesem erhielt sie im Jahr 2020 an 25 Arbeitstagen sowie von Januar bis Mai 2021 an zehn Arbeitstagen Urlaub. Mit ihrer Klage gegen den alten Arbeitgeber begehrte die Klägerin die Abgeltung von insgesamt sieben Tagen vertraglichen Mehrurlaubs (fünf Tage für 2020 und zwei Tage für 2021). Das ArbG wies die Klage ab. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg.

Entscheidung

Die Revision der Klägerin war teilweise erfolgreich. Nach Ansicht des BAG bestehe für das Jahr 2020 kein Abgeltungsanspruch. Die Klägerin habe bei dem Beklagten für das Jahr 2020 grundsätzlich einen Urlaubsanspruch von 25 Arbeitstagen erworben. Dem stehe nicht entgegen, dass sie nach Ausspruch der (unwirksamen) Kündigung keine Arbeitsleistung für den Beklagten mehr erbracht oder ein Doppelarbeitsverhältnis vorgelegen habe. Gleichwohl müsse die Klägerin sich den Urlaub, den ihr der neue Arbeitgeber gewährt habe, auf ihre Urlaubsansprüche gegen den Beklagten anrechnen lassen. Dies ergebe sich aus dem Rechtsgedanken des § 11 Nr. 1 KSchG und § 615 S. 2 BGB. Die Anrechnung habe dabei aber kalenderjahresbezogen und nicht kalenderjahresübergreifend zu erfolgen. Nur so könne der Regelungssystematik des Bundesurlaubsgesetzes Rechnung getragen und sichergestellt werden, dass der unabdingbare Schutz des gesetzlichen Mindesturlaubs unangetastet bleibe. Da die kalenderjahresbezogene Anrechnung mangels abweichender Regelungen im Arbeitsvertrag auch für den vertraglichen Mehrurlaub gelte, führe dies zu einem Wegfall sämtlicher Urlaubsansprüche der Klägerin aus dem Jahr 2020. Für die Urlaubstage aus 2021 sei der Rechtsstreit nicht zur Entscheidung reif, da das Berufungsgericht von einer kalenderjahresübergreifenden Betrachtung ausgegangen sei und nicht klargestellt habe, ob Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2021 oder Resturlaubsansprüche erfüllt worden seien.

(BAG, 05.12.2023 – 9 AZR 230/22)

Tipp für die Praxis

Bei der Anrechnung von Urlaubsansprüchen bei Doppelarbeitsverhältnissen ist das Kalenderjahr zugrunde zu legen (Jahresbezogenheit des Urlaubs) und nicht der Zeitraum des Bestehens des Doppelarbeitsverhältnisses.