Das deutsche Arbeitsrecht bringt im Jahr 2023 zahlreiche Neuerungen und geplante Änderungen, die Personalverantwortliche kennen sollten. (English version available here.)

Neuerungen

Seit dem 1. Januar 2023 sind einige Neuregelungen in Kraft. Beispielsweise müssen gesetzlich versicherte Arbeitnehmer ihrem Arbeitgeber künftig keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mehr vorlegen. Der sogenannte „gelbe Schein“ in Papierform wird insofern abgeschafft. Arbeitgeber sind nun verpflichtet, die Daten zur Arbeitsunfähigkeit gesetzlich versicherter Arbeitnehmer bei den Krankenkassen elektronisch abzurufen (elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – eAU). Arbeitgeber können die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (Erst- und Folgebescheinigungen) nur individuell für den jeweiligen Arbeitnehmer anfordern. Ein regelmäßiger oder pauschaler Abruf von eAU-Daten durch Arbeitgeber ist nicht zulässig. Privatversicherte sind von der Regelung nicht betroffen.

Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) verpflichtet nun Unternehmen ab einer bestimmten Größe, die Standards ihrer Zulieferer und Lieferanten zu überprüfen. Arbeitgeber werden unter anderem im Hinblick auf Arbeitsbedingungen stärker auf länderübergreifende Mindeststandards achten müssen. Zu berücksichtigen ist, dass bei der Erfüllung der gesetzlich vorgeschriebenen Sorgfaltspflichten Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats ausgelöst werden können. Das Pedant auf europäischer Ebene, die „Corporate Sustainability Due Diligence Directive“ (COM(2022) 71 final), wird vermutlich im Mai 2023 verabschiedet. Da die Regeln voraussichtlich deutlich strenger sein werden als das deutsche Gesetz, wird Deutschland das LkSG wohl nachschärfen müssen. Bei der nachhaltigen Ausrichtung von Unternehmen dürften Personalverantwortliche eine verantwortungsvollere Rolle im Unternehmen einnehmen. Beispielsweise stellt sich bei Vergütungsstrategien zunehmend die Frage, wie nachhaltig sich Leistungsbeiträge über einen längeren Zeitraum auswirken und welche Arbeitnehmervergünstigungen, wie z.B. Dienstfahrrad oder Dienstauto, der Nachhaltigkeit des Unternehmens dienen.

Die Rechengrößen in der Sozialversicherung wurden turnusgemäß zum 1. Januar 2023 an die Einkommensentwicklung angepasst. Die aktuellen Rechengrößen finden sie hier. Außerdem wurde die Homeoffice-Pauschale auf bis zu 1.260 € erhöht, so dass Arbeitnehmer künftig 210 statt 120 Homeoffice-Tage in der Einkommenssteuererklärung geltend machen können.

Die Corona-Arbeitsschutzverordnung wird zum 2. Februar 2023 aufgehoben. Die Sonderregelungen zu betrieblichen Hygienevorkehrungen waren ursprünglich bis 7. April 2023 befristet und entfallen damit bereits zwei Monate früher.

Ausblick

Das neue Hinweisgeberschutzgesetz wurde am 16. Dezember 2022 vom Deutschen Bundestag beschlossen und wird nach Zustimmung des Bundesrats voraussichtlich im April 2023 in Kraft treten. Das Gesetz verpflichtet Unternehmen, eine internes Meldesystem einzurichten und zu betreiben, wobei nun auch anonymen Hinweisen nachgegangen werden muss. Arbeitnehmer, die Missstände in Unternehmen melden, werden durch eine Beweislastumkehr besser vor Repressalien geschützt. Zu ihren Gunsten wird vermutet, dass es sich bei Benachteiligungen um Repressalien handelt, woraus sich unter Umständen Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers ergeben können.  

Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts sind Arbeitgeber zur Arbeitszeiterfassung ihrer Arbeitnehmer verpflichtet. Hierzu hat das Bundesarbeitsministerium FAQ veröffentlicht. Für das erste Quartal 2023 ist ein Gesetzentwurf zu erwarten, der bisher ungeklärte Detailfragen durch Anpassung des Arbeitszeitgesetzes regeln soll.

Das Bundesarbeitsgericht hat weiterhin klargestellt, dass Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet sind, ihre Arbeitnehmer zur Inanspruchnahme ihres Urlaubs aufzufordern, da ansonsten die gesetzliche Verjährungsfrist von drei Jahren bei Resturlaubszeiten nicht greift. Arbeitgeber dürften sich daher sehr wahrscheinlich mit den Ansprüchen zahlreicher Mitarbeiter auf verfallen geglaubte Urlaubstage auseinandersetzen müssen. Dies betrifft unter Umständen sogar solche Mitarbeiter, die das Unternehmen bereits verlassen haben.

Mit einer Modernisierung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes plant die Bundesregierung, den Weg ausländischer Fachkräfte in den deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern. Das „Eckpunktepapier zur Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten“ vom 30. November 2022 sieht unter anderem vor, dass berufserfahrene Fachkräfte künftig auch ohne in Deutschland anerkannten Abschluss tätig werden dürfen. Weiterhin sollen Drittstaatsangehörige, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen, mit einer Chancenkarte zur Suche eines Arbeitsplatzes einreisen dürfen. Ein Gesetzentwurf soll Anfang 2023 in den Bundestag eingebracht bringen. Darüber hinaus ist die Hochqualifizierten-Richtlinie (RL(EU) 2021/1883) bis spätestens 18. November 2023 von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umzusetzen.

Mit einem Gesetzentwurf zur Ratifikation des “Übereinkommens Nr. 190” der Internationalen Arbeitsorganisation über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung aus dem Jahr 2019 setzt die Bundesregierung ein Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag um. Ziel der Konvention ist die Sicherstellung eines leichten Zugangs zu geeigneten und wirksamen Abhilfemaßnahmen bei Fällen von Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz sowie zu sicheren, fairen und wirksamen Melde- und Streitbeilegungsmechanismen und -verfahren. Bislang ist unklar, ob und gegebenenfalls welche gesetzlichen Anpassungen, beispielsweise des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), im Rahmen der Ratifizierung der Konvention vorgenommen werden.

Der deutsche Gesetzgeber hat am 1. Dezember 2022 das „Gesetz zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige“ verabschiedet und damit die EU-Vereinbarkeitsrichtlinie (RL (EU) 2019/1158) in deutsches Recht umgesetzt. Arbeitgeber, die Eltern und pflegenden Angehörigen die Reduzierung ihrer Arbeitszeit verweigern, müssen ihre Ablehnung zukünftig begründen. Im Unterschied zu größeren Betrieb gibt es in Kleinbetrieben zwar weiterhin keinen Anspruch auf Pflegezeit (hierfür liegt die Grenze bei 15 Beschäftigten) oder Familienpflegezeit (hierfür liegt die Grenze bei 25 Beschäftigten). Gleichwohl können auch in kleinen Unternehmen Arbeitnehmer einen Antrag stellen, um auf diesem Wege mit dem Arbeitgeber eine Pflege- oder Familienpflegezeit zu vereinbaren. Arbeitgeber müssen auf den Antrag innerhalb von vier Wochen reagieren und bei Ablehnung begründen. Der derzeit viel diskutierte zweiwöchige sog. Vaterschaftsurlaub wurde mit dem Gesetz nicht umgesetzt.